Interview mit Tierärztin, Heilprakterin für Psychotherapie Inge Seider von S-A-M-T

  • Sie sind Tierärztin, Heilpraktikerin für Psychotherapie und haben „Soziale-Arbeit-Mensch-Tier“ gegründet. Seit wann besteht die Praxis und seit wann arbeiten Sie in dem Bereich Tiergestützte Therapie/Pädagogik? 

Meine Liebe zu den Tieren hat mich schon sehr früh bewogen Tierärztin zu werden, um Tieren helfen zu können. 15 Jahre war ich als freiberufliche Tierärztin im Kleintierbereich mit sehr viel Idealismus tätig. Eine Lebenskrise ereilte mich 2001 und damit auch das Interesse an pädagogisch-psychologischen Themen. Ich entschloss mich zu einem zweiten Studium – der Förderschulpädagogik. Ich unterrichtete im Erziehungshilfebereich und hier machte ich meine erste tiergestützte Erfahrung: ich integrierte meine Golden Retriever Hündin „Molly“ in den Unterricht und durfte die Wirkung auf verhaltensauffällige Schüler/innen erfahren. „Molly“ schaffte das, was uns Menschen nicht mehr gelang, Vertrauen und Sicherheit diesen Kindern und Jugendlichen zu geben. Es beeindruckte mich dermaßen, dass die tiergestützte Arbeit in den Mittelpunkt meiner beruflichen Tätigkeit rückte. Es folgten Weiterbildungen zum systemischen Fachberater TGI, zur Achtsamkeitslehrerin MBSR und schließlich zum Heilpraktiker für Psychotherapie, was mir schließlich eine therapeutische Arbeit mit meinen Klienten ermöglichte. Seit 2015 arbeite ich in eigener Praxis sowohl therapeutisch als auch pädagogisch tiergestützt und gründete noch im selben Jahr das Weiterbildungsinstitut S-A-M-T (www.soziale-arbeit-mensch-tier.de).

  • Wird die Praxis von Ihnen allein geführt oder ist es ein Familienbetrieb?

Durch meine beruflichen Qualifikationen im päd.-therapeutischen Bereich und mein veterinärmedizinisches Fachwissen war ich in der Aufbauphase in der Lage die Praxis allein zu führen. Schon bald entwickelte sich allerdings ein „Familienbetrieb“: meine beiden Töchter Lisa Veit und Eva Kroth fanden auch großes Interesse an der Thematik und brachten ihre Kompetenzen mit in die Praxis ein. Lisa als Dozentin im Bereich „Selbständigkeit“ , Büro und Eva als Dozentin im  Anatomie/Physiologie Bereich. In dieser familiären Zusammenarbeit hat sich der Wunsch nach Professionalität und Anerkennung der tiergestützten Arbeit sowohl bei Arbeitgeber (Kita, Schule, soziale Institutionen,..) als auch bei den Krankenkassen, Pflegekassen,..verstärkt und 2019 entschlossen wir uns tiergestützte Fördermaterialien aus unserer Praxiserfahrung zu entwickeln. Das Angebot der individuell hergestellten Fördermaterialien ist nicht nur an die TGI-Teams privat gerichtet, sondern besonders an die Institutionen, die durch den Kauf der Fördermaterialien die tiergestützte Arbeit als professionelle Fördermöglichkeit anerkennen und den Teams eine Wertschätzung ihre Arbeit rückmelden. 

  • Wer kann bei Ihnen eine Weiterbildung im Tiergestützten Bereich absolvieren? Gibt es Voraussetzungen hierfür?

Grundvoraussetzung für die Teilnahme an der tiergestützten Weiterbildung ist entweder eine päd./therapeutischer Grundberuf oder der Wunsch sein Tier im sozialen Arbeitsbereich einzusetzen. Die Weiterbildung ist eine Kombination aus Fachkraft – und Teamausbildung. Das bedeutet, dass eine fundierte Wissensvermittlung nach IAHAIO – Standard, kombiniert mit Team-Einsätzen in verschiedenen Einrichtungen und dementsprechend Kontakt zu unterschiedlichem Klientel, erfolgt. Die Voraussetzungen werden in einem ausführlichen Einführungsgespräch auf das einzelne Team bezogen erörtert. Auch während der Weiterbildung sollte eine Bereitschaft einer individuellen Team-Entwicklung bestehen, d.h. wir bilden nicht „den Therapiehund“ (wie er fälschlicherweise in den Medien genannt wird) aus, sondern jedes Team wird individuell betrachtet und nach Abschluss der Weiterbildung seine Kompetenzen, seine Einsatzmöglichkeiten, aber auch seine Einschränkungen kennen. Aus diesem Grund lehnen wir auch Wesenstests als Voraussetzung für die Weiterbildung ab, da es zum einen nur einen punktuellen Einblick in das Verhalten des Tieres gibt und zum anderen leider nicht selten zu Traumatisierungen führt. Auch eine wissenschaftliche Aussagekraft, ob der Wesenstest eine tiergestützte Eignung voraussagen kann, ist nicht gegeben. Wir unterstützen die Teams in ihren Möglichkeiten und fördern eine Entwicklungsfortschreibung im Rahmen von Supervisionen im Abstand von zwei Jahren.

  • Mit welchen Methoden und Materialen arbeiten Sie? Wie läuft die Ausbildung und Prüfung ab? 

Die Grundlage der tiergestützten Arbeit sind pädagogische bzw. therapeutische Konzepte. Das Tier unterstützt diese Arbeit, indem es Sicherheit und Vertrauen und somit auch eine Grundlage für Förderung schafft. Das Tier kann aber auch z.B. gezielt zur Förderung in den Förderbereichen Wahrnehmung, Motorik, Lernen und besonders im sozial-emotionalen Bereich, eingesetzt werden. Besonders für diese gezielten Einsätze entwickeln wir Fördermaterialien, mit denen vor allem der Klient in seiner Aktivität gefördert werden soll – und zwar dahingehend Herausforderungen gemeinsam zu lösen. 

Die Weiterbildung ist folgendermaßen aufgebaut:

Teil 14 Module von Fr – So Fr und Sa (10-17Uhr): Präsenz – Team-Einsätze mit Klienten aus Schule, Kita, Behinderteneinrichtungen, Diakonie,… Stundenvorbereitung und -reflexion So (10-17Uhr): Zoom-online-Meeting – Theorievermittlung Trainingsworkshop (10-17Uhr): Schwerpunkt Hundetraining in der TGI
ZwischenprüfungSchriftliche Überprüfung via Zoom
Teil 24 Module von Fr – So Fr und Sa (10-17Uhr): PräsenzTeam-Einsätze mit Klienten aus Schule, Kita, Behinderteneinrichtungen, Diakonie,… Stundenvorbereitung und -reflexion So (10-17Uhr): Zoom-online-MeetingTheorievermittlung Trainingsworkshop (10-17Uhr): Schwerpunkt Hundetraining in der TGI
AbschlussprüfungSchrifliche Überprüfung via Zoom
Möglichkeit der Sachkundeprüfung §11 (Tierschutzgesetz) in Kooperation mit dem VeterinäramtPräsenz: schriftliche Überprüfung (Theorie) TGI-Einsatz mit bekanntem Klientel (30 Minuten) – (Praxis)
Zertifikat (Akkreditiert von der Hess. Lehrkräfteakademie)„Fachberater für tiergestützte Intervention“ (nach Abgabe des Konzeptes (ca. 12-15Seiten)
  • Welche Berufsbezeichnung tragen dann die Absolventen? 

„Fachberater für tiergestützte Intervention“

  • Was ist Ihnen wichtig bei diesen Weiterbildungen? 

Besonders wichtig ist mir, neben der Vermittlung der theoretischen Inhalte, die Achtsamkeitslehre und die Möglichkeit deren Anwendung in TGI – Einsätzen zu üben. Ich bin ausgebildete MBSR- und MBCT-Achtsamkeitslehrerin und sowohl das Stressbewältigungsprogramm (MBSR) als auch das Präventionsprogramm bei wiederkehrenden Depressionen und Ängsten (MBCT) ist in die Weiterbildung integriert. Ziel ist es den Teilnehmern eine tiergestützte Arbeit zu vermitteln, die zum einen Stressfreiheit und zum anderen Freude bei Mensch und Tier zum Ziel hat. Um dies gewährleisten zu können, benötige ich diesbezüglich theoretisches Wissen, aber auch eine Flexibilität in meiner Arbeit, die es gilt zu üben – zu üben im Rahmen der regelmäßigen gruppenreflektierten Einsätze während der Weiterbildung. Auch weitere tierethische Aspekte sind gerade hinsichtlich des Tierschutzes von wichtiger Bedeutung: Autonomie, Schadensvermeidung, Fürsorge und Gerechtigkeit.

Bei den von uns entwickelten Fördermaterialien besteht der Wunsch Fördermaterialien im tiergestützten Bereich zu etablieren und der tiergestützten Arbeit eine Professionalität und Wertschätzung zukommen zu lassen. Ich würde mir wünschen, dass sowohl Unternehmen als auch Institutionen aufmerksam auf diesen tiergestützten Bereich werden und evtl. Kooperationen entstehen können. 

  • Was bedeutet: S-A-M-T?

S-A-M-T ist die Abkürzung für „Soziale-Arbeit-Mensch-Tier“.

Es bedeutet Menschen, die ihr Tier in der sozialen Arbeit einsetzen möchten, erhalten durch uns eine entsprechende Weiterbildung und Nachsorge, sowie Fördermaterialien für Team-Einsätze. Dies gilt sowohl für Pädagogen/Therapeuten als auch Menschen in Sozialberufen.

  • Gab es einen Moment, der Sie bestärkt hat in diesem Bereich zu arbeiten? 

Besonders bestärken mich die Team-Einsätze in den verschiedenen Institutionen und die Wirkung der Tiere auf die Klienten. Überwältigende Momente sind z.B.:

  • Wenn eine halbseitig gelähmte Klientin im Rollstuhl plötzlich ihre gelähmte Hand für den Hund versucht zu strecken, um ein Leckerli zu füttern.
  • Eine autistische, taubstumme Klientin das erste Mal ihre Ängste zum Hund überwindet und ohne Begleitung mit einem Futterlöffel losläuft, um den Hund zu füttern
  • Wenn plötzlich Bewegungen ohne Hilfsmittel (z.B. Rollator) im Beisein des Hundes möglich werden
  • In sich in Gedanken kreiselnde Klienten (chron. Depression) Motivation und Freude in der Interaktion mit dem Hund finden
  • …..

In jedem Einsatz finden wir viele dieser „einen Momente“, die mich immer wieder in meiner Arbeit bestärken!

  • Was schätzen Sie an Ihrer Arbeit? 

Ich bin dankbar Mensch/Hund – Teams in ihrer Entwicklung begleiten und außergewöhnliche Beziehungsmomente erleben zu dürfen. Eine besondere Erkenntnis begleitet mich bei jeder Weiterbildungsgruppe: Ich und mein Hund müssen nicht perfekt sein, für die tiergestützte Wirksamkeit ist entscheidender in einer guten Beziehung und Bindung zueinander zu sein und Akzeptanz für das was ist zu entwickeln. 

Bilder von Frau Seider im Einsatz (mit Fördermaterial)