Interview mit Jasmin Stoiber von Hunde für Handicaps e.V.

„Vom Welpen zum Assistenzhund“

Kann jeder Welpe zu einem Assistenzhund ausgebildet werden?

Jein, jeder Hund ist ein Individuum und so kann die Eignung, ob er als Assistenzhund geeignet ist frühestens mit 12 Monaten durch eine gesundheitliche Eignungsuntersuchung und Tests auf charakterliche Eignung festgestellt werden.

Generell kann jeder gesunde, gut sozialisierte Welpe in die Grundausbildung starten, aber das Ende ist dabei offen.

Wie suchen Sie die Welpen aus? Muss er von einem Züchter sein oder kann dieser auch aus dem Tierschutz stammen?

Unsere Welpen stammen von verantwortungsvollen Züchtern, bei denen wir die Aufzucht und Sozialisation genau verfolgen können und auch die Gesundheitsergebnisse der Elterntiere, sowie Großeltern und anderen Ahnen einsehen können.

So minimiert sich die Gefahr der Nichteignung gegenüber eines Welpen/Junghundes aus dem Tierschutz, da wir so Faktoren wie vererbbare Erkrankungen, Mangelernährung im Welpenalter und mangelnde Sozialisation oder sogar Traumata nahezu ausschließen können. Gerade die ersten 16 Wochen, sind die wichtigsten Wochen der Sozialisierung im Leben eines Hundes, die wir bei einem Welpen, der mit 8 Wochen wohlbehütet von einem guten Züchter kommt optimal nutzen können, dies ist bei Tierschutzhunden, die oft bereits 3,5 bis 4 Monate alt sind, wenn sie adoptiert werden können nicht der Fall.

Welche Voraussetzung / Ansprüche werden an den Welpen gestellt und an den zukünftigen Halter?

Wir suchen gut sozialisierte, gesunde Welpen mit gesunden, souveränen Elterntieren ohne bzw. mit kaum jagdlichen Ambitionen. Wichtig ist uns ebenfalls, dass unsere Welpen, in den ersten 8 Wochen, die sie bei ihren Züchtern aufwachsen, bereits gut sozialisiert werden und im Haushalt aufwachsen und so bereits viele Alltagsreize spielerisch und positiv kennenlernen. Meistens entscheiden wir uns für Golden und/oder Labrador Retriever, da wir mit diesen Rassen die besten Erfahrungen gemacht haben. Sie bringen von Natur aus gute Veranlagungen mit, wie z.B. Apportierfreude, sind generell sehr sozial gegenüber Menschen und Artgenossen eingestellt und verfressen, was im Training mit positiver Verstärkung ein großer Pluspunkt ist.

Unsere zukünftigen Assistenzhundhalter*innen durchlaufen bei uns ein mehrstufiges Kennenlernen, bei dem wir ihre Wünsche und Bedürfnisse, mit denen unserer Hunde abgleichen, was ist möglich, was kann ein Hund leisten und wo muss vorab etwas verändert werden, damit ein Hund artgerecht versorgt werden kann. Wir besuchen sie Zuhause und schauen ihr Wohnumfeld und ihr soziales Netzwerk genauer an und hinterfragen gezielt, wer sich um den Hund kümmert, wenn sie gesundheitlich nicht dazu in der Lage sind. Uns ist es wichtig, dass es ihnen bewusst ist, dass ein Assistenzhund vor allem ein Lebewesen mit all den Bedürfnissen eines Hundes ist, die erfüllt werden müssen, damit er ausgeglichen und freudig seine Aufgaben erledigen kann. Leider gibt es immer wieder einmal Bewerber*innen, die dies unterschätzen und an diesem Punkt merken, dass ein Assistenzhund nicht nur Erleichterungen sondern auch Arbeit macht. All unsere Bewerber*innen werden vor Einzug des Hundes intensiv geschult und intensiv eingearbeitet. 

Am Ende entscheidet bei uns aber immer der Hund, denn der Mensch kann noch so verliebt sein, ist der Hund nicht glücklich und fühlt sich nicht wohl, werden sie niemals als glückliches Team durchs Leben gehen und das ist unser Ziel: Ein glückliches, harmonisches Assistenzhund-Team!

Was ist überhaupt ein Assistenzhund und für wen ist dieser geeignet?

Ein Assistenzhund ist ein speziell für einen Menschen mit Behinderung ausgebildeter Hund. 

Ein Assistenzhund hilft seinem Menschen im Alltag, durch sogenannte Hilfeleistungen, wie z B. das Öffnen von Türen, Betätigen von Lichtschalter, Hilfe beim Ausziehen der Kleidung, das Bringen von Notfallmedikamenten, das Ausräumen der Wäsche aus der Waschmaschine oder aber das Aufheben und Tragen von Gegenständen und schafft somit einen Nachteilsausgleich. 

Es gibt verschiedenste Arten von Assistenzhunden. 

Der Bekannteste ist der Blindenführhund für hochgradig sehbehinderte und blinde Menschen. 

Es gibt aber auch noch Mobilitätsassistenzhunde für Menschen mit körperlicher Behinderung, wie z.B. Rollstuhlfahrer*innen; Warn- und Anzeigehunde für z.B. Menschen mit Epilepsie oder Diabetes; Signalhunde, für Menschen mit Schwerhörigkeit oder Taubheit; Assistenzhunde für den psychosozialen Bereich, wie z.B. Autismus, FAD oder aber PTBS.

Ob eine Person für das Leben mit einem Assistenzhund geeignet ist, ist immer im Einzelfall zu prüfen, denn jede Behinderung/chron. Erkrankung ist genauso individuell wie jede Lebenssituation ist anders. 

Bei Interesse an einem Leben mit Assistenzhund kann ich also nur empfehlen, sich an eine Ausbildungsstätte zu wenden und sich beraten zu lassen, was ein Assistenzhund im individuellen Fall leisten kann und ob eine Versorgung sinnvoll ist oder nicht. Wichtig hierbei ist, darauf zu achten, dass nicht jede Ausbildungsstätte, die richtige ist. Wir von Hunde für Handicaps e.V.  haben uns z.B. auf Mobilitätsassistenzhunde spezialisiert, ganz nach dem Motto Qualität statt Quantität und können so auch nur Beratungen rund um das Thema Mobilitätsassistenzhund vornehmen und somit ist ein Mensch mit PTBS bei uns leider falsch und wir können hier weder beraten noch andere Ausbildungsstätten empfehlen.

Mit dem neuen Assistenzhundegesetz in Deutschland wird es jedoch in naher Zukunft einheitliche Ausbildungs-, und Prüfungsstandards geben, was sich positiv auf die Qualität der Assistenzhundausbildung in Deutschland auswirken wird.  

Bekommt man einfach einen Assistenzhund gestellt?

Nein, in Deutschland ist es nach wie vor so, dass Interessent*innen, sich an eine Ausbildungsstätte für Assistenzhunde in ihrer Nähe wenden muss. Diese haben oft Wartelisten, sodass eine Versorgung mit einem Assistenzhund bis zu 3 Jahre, in Einzelfällen sogar länger dauern kann.

Wer finanziert das?

Es gibt nach wie vor keinerlei staatliche Kostenträger für Assistenzhunde, ausgenommen dem Blindenführhund. 

In Einzelfällen gelingt es nach langen Verfahren und mit Hilfe eines versierten Anwalts, die Kosten der Ausbildung über das Sozialamt, z.B. über Eingliederungshilfe oder das persönliche Budget, anteilig zu decken, aber der Großteil der Finanzierungen läuft aktuell über Spenden und oder Stiftungen und Fonds.

Im Zusammenhang mit dem in Kraft getretenen Assistenzhundegesetz, soll es eine Studie geben, die die Ausbildung, Nutzen und Kosten eines Assistenzhundes analysiert. Die Teilnehmer*innen dieser Studie werden bei den Kosten für die Ausbildung der Assistenzhunde unterstützt. Hierzu gibt es aber noch keinerlei Details.

Wer macht die Ausbildung?

Es gibt zwei Arten der Ausbildung.

1. Die Fremdausbildung. 

Hier wachsen die Welpen/Junghunde in Patenfamilien oder bei ihren Trainern auf und werden nach bestandenen Eignungstests speziell für einen Menschen mit Behinderung ausgebildet und im Anschluss mit diesem intensiv eingearbeitet, bevor sie zu ihm ziehen.

2. Die Selbstausbildung.

Diese betrifft Menschen, die bereits einen Hund haben und diesen ausbilden wollen. Sie nehmen gemeinsam mit ihrem Hund Trainingsstunden bei einem Ausbilder und legen die gleichen Eignungstests ab, wie Hunde aus der Fremdausbildung.

Die Rate der Eignung liegt je nach Sozialisierung und Genetik, bei 20-40%. Das heißt von 10 Hunden sind gerade einmal 2 bis 4 Hunde geeignet. Alle anderen sind supertolle Familienhunde, aber haben Kleinigkeiten, die sie für die Aufgabe als Assistenzhund nicht geeignet machen.

Hierzu zählen z.B. Jagdtrieb, HD oder ED, Unsicherheiten im Alltag auf laute Geräusche oder plötzliche Sichtreize, oder einfach fehlende Souveränität in stressigen Alltagssituationen.

Ist die Ausbildung zum Assistenzhund staatlich anerkannt?

Aktuell fehlen noch die Durchführungsverordnungen des neuen Assistenzhundegesetzes und wir hoffen, dass diese noch im ersten Quartal 2022 bekannt gegeben werden. Mit diesen würden dann auch einheitliche Standards und Qualitätskriterien geschaffen, die eine einheitliche Ausbildung gewährleisten.

Wer bildet diese aus und wer prüft diese?

Aktuell gibt es viele Ausbildungsstätten für Assistenzhunde mit verschiedensten Qualitätsansprüchen. 

Dies wird sich mit den noch fehlenden Durchführungsverordnungen und einheitlichen Standards in Zukunft ändern. 

Geplant sind einheitliches  Standards für die Ausbildung und Eignung der Hunde, feste Voraussetzungen, wer Assistenzhunde ausbilden darf und einheitliche, staatliche Abschlussprüfungen mit einheitlicher Kennzeichnung geprüfter Assistenzhund-Gemeinschaften.

Wie läuft eigentlich so eine Ausbildung ab?

Bei der Fremdausbildung zieht der vom Züchter bereits gut sozialisierte und behütet aufgewachsene Welpe im Alter von 8 bis 10 Wochen bei seiner Patenfamilie oder Trainer ein. 

Dort lebt er als Teil der Familie, lernt die große Weite Welt und das kleine Hunde 1×1 kennen.

Mit circa 12 bis 16 Monaten, je nach Entwicklungsstand des Hundes, wird er einer gesundheitlichen Eignungsuntersuchung (hierzu zählen z.B. Röntgen von Hüfte, Ellbogen und Rücken, Blutabnahme, Kontrolle von Herz, Augen und Ohren…) und Eignungstests auf charakterliche Eigenschaften (z.B. Jagdtrieb, Sozialverhalten gegenüber Mensch und Artgenossen, Souveränität und Gelassenheit in stressigen Alltagssituationen, Schreckhaftigkeit u.v.m.) unterzogen.

Ist der Hund geeignet wird er in der anschließenden Spezialausbildung durch seinem ihm bereits gut bekannten Trainer, speziell auf die Bedürfnisse seines späteren Menschen ausgebildet und lernt diesen kennen. Nach Abschluss der Spezialausbildung, im Alter von ca. 2 Jahren, findet eine intensive Einarbeitung über mindestens 3 Wochen statt in denen Mensch und Hund lernen einander zu vertrauen, zu verstehen und gemeinsam den Alltag zu bestreiten. Nach Abschluss dieser intensiven Einarbeitung zieht der Hund bei seinem Menschen ein und wird für ca. 6 Monate weiterhin regelmäßig von seinem/r Trainer*in betreut und arbeitet auf die Abschlussprüfung hin. Mit Bestehen dieser Abschlussprüfung (bei uns aktuell noch die Assistenzhund-Team-Prüfung des BHV) ist die Ausbildung offiziell abgeschlossen. Jedoch bleiben wir ein Leben lang in Kontakt mit unseren Teams und betreuen diese jederzeit nach, bei Fragen rund um Hundehaltung und Training.

Bei der Selbstausbildung kommt ein Mensch mit Behinderung, mit seinem bereits in der Familie lebenden Hund zu uns zum Training. Je nach Alter und Trainingsstand des Hundes, trainiert das Team gemeinsam mit unseren Trainer*innen im Einzeltraining oder Gruppentraining. Auch Teams in Selbstausbildung müssen die gesundheitlichen und charakterlichen Eignungsüberprüfungen ablegen, bevor sie die Spezialausbildung beginnen dürfen. Am Ende ihrer Ausbildung steht genauso wie bei unseren fremdausgebildeten Teams, die Abschlussprüfung (Assistenzhund-Team-Prüfung des BHV). Ab Zeitpunkt des Bestehens der Prüfung sind auch die ein fertig ausgebildetes Team, mit dem wir ebenfalls ein Leben lang in Kontakt stehen und immer ein offenes Ohr für Fragen haben und mit Rat und Tat zur Seite  stehen. Selbstausbilder*innen sollten sich aber jederzeit bewusst sein, dass es gut sein kann, dass ihr Hund nicht als Assistenzhund geeignet ist und sich vorab Gedanken darüber machen, was in diesem Fall passiert und wie wichtig es ihnen ist, dass ihr Hund überall mit hin darf. Menschen, die darauf angewiesen sind ihren Hund später überall mit hinzunehmen und Zugangsrechte in Anspruch zu nehmen, empfehlen wir grundsätzlich einen fremdausgebildeten Hund.

Mehr Infos zu Ausbildungsarten und alles rund um den Assistenzhund finden Sie auch auf unserer Homepage unter:

www.hundefuerhandicaps.de

Woran erkennt man später einen Assistenzhund?

Einen Assistenzhund erkennt man an seiner Kenndecke oder Halstuch mit dem Aufdruck Assistenzhund, Behindertenbegleithund oder Servicedog. Blindenführhunde haben zudem im Dienst ihr offizielles, weißes Führgeschirr an.

Generell sollten Assistenzhunde nicht gestört oder angesprochen werden.

Aber gilt das nicht für jeden Hund? Welcher Hund will schon ständig gestreichelt oder belästigt werden, während er mit seinem Menschen unterwegs ist? Ich kenne keinen. 

Der Unterschied: lassen sie ihren Hund in einen arbeitenden Assistenzhund reinrennen, ihn „hallo sagen“, oder stören Sie selbst die Arbeit des Assistenzhundes, kann dies schnell einen Notfall zur Folge haben, denn nur ein konzentrierter Assistenzhund kann einen drohenden epileptischen Anfall oder Unterzuckerung anzeigen oder seinen Menschen sicher über die Straße führen.

Also bitte nehmen Sie Rücksicht und halten sie Abstand und ermöglichen Sie dem Mensch-Assistenzhund-Team somit  einen entspannten Alltag, ohne zusätzliche Belastungen, denn Hindernisse gibt es in ihrem Leben schon genug. 

Herzlichen Dank Frau Stoiber für Ihre Zeit

Fotos Copyright- Hunde für Handicaps e.V.

Bild oben zeigt Jasmin Stoiber mit Assistenzhund Snickers